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  • Joachim Materna & Ellen Kuhn

Eine lebendige und vergängliche Art der Kunst - ein Spaziergang durch Wynwood in Miami

Aktualisiert: 2. Jan. 2020


Von weiten Teilen der Bevölkerung wird Street Art oder auch Urban Art als chaotischer Klamauk oder als Vandalismus betrachtet. Hinter dieser subversiven Kunst im öffentlichen Raum mit ihrem meist inoffiziellen Charakter verbirgt sich allerdings eine Kunstrichtung, die die Straßen, Wände und Gebäude der Metropolen dieser Welt erobert und sich mitunter subtil und provokant an ihr öffentliches Publikum wendet. Auch der Stadtteil Wynwood in Miami ist eine lebendige Plattform vieler renommierter Street Art Künstler. Kommen Sie mit auf einen Rundgang durch diese farbenfrohe Freiluftgalerie der besonderen Art…

Prinzipiell gibt es Wandmalereien seit es den Menschen gibt. Die Malereien an Außenwänden - die wir heutzutage als Street Art oder Urban Art bezeichnen - haben Ihre Wurzeln im Lateinamerika der 1920er Jahre. In Mexico gestaltete Diego Riviera, der Mann von Frida Kahlo, erstmalig politisch motivierte Wandmalereien - eine Form der Propaganda. Diese visualisierte Form der Auseinandersetzungen wird bis heute vor allem in Städten gefunden, in denen es starke soziale und politische Konflikte gibt.

Deutscher Street Art Künstler, der die Hände ins Zentrum seiner Arbeit stellt.

Miami ist eine Multikulti-Stadt. Die Mehrheit der Einwohner dieser amerikanischen Stadt spricht nicht Englisch, sondern Spanisch. Die lateinamerikanischen und afroamerikanischen Einflüsse sind überall spürbar. Kulturelle, historische und soziale Gegensätze suchen ihren Ausdruck in der Kunstszene des Wynwood Art Districts. Er ist die Heimat von über siebzig Galerien, fünf Museen, drei Sammlungen, sieben Kunst-Komplexen, zwölf Ateliers und fünf Kunstmessen. Die Künstler der Straße bedienen sich - wie überall auf der Welt - verschiedenster Medien um ihre Werke zu präsentieren - Marker, Pinsel und Malerrollen, Sprühdosen, Aufkleber, Poster etc.. Häufig werden Wände bemalt und beklebt, doch auch Stromkästen, Laternen, Verkehrsschilder, Telefonzellen, Mülleimer, Ampeln und andere Stadtmöbel, sowie Bürgersteige und Straßen an sich und sogar Bäume – im Prinzip alle erdenklichen Untergründe – werden gestaltet.

Meist sind die Werke illegal angebracht, deshalb ziehen es die meisten Künstler vor, anonym zu bleiben. Selbst innerhalb der Szene kennen sich die Mitglieder oft nur unter ihren Pseudonymen. Einige von Ihnen haben sich allerdings durch herausragende Arbeit einen Namen gemacht und werden von privaten Grundstückseigentümern für Auftragsarbeiten engagiert. In der Regel ist das öffentliche Werk eines Künstlers das Aushängeschild für seine Gallerie oder weiteren Werke.

Eine lebendige, moderne Kunstform. Verbreitete sich noch vor einigen Jahren die Kunst im öffentlichen Raum überwiegend über Graffiti- und Street Art-Magazine, tut sie es heute über soziale Medien. Allein die Begriffskombination „Street Art Facebook“ erzielt bei Google fast 20 Millionen Treffer.

Durch die wachsende Popularität dieser Kunstströmung greifen Unternehmen sowohl in ihrer Stilistik als auch in ihrer Gesamtheit Street Art als Werbemittel auf, um ihren Produkten ein jugendkulturelles Image zu geben. In der Street Art-Szene wird diese Form der Werbung allerdings als Vereinnahmung einer jugendkulturellen Identität kritisiert. Sie verstehen den Ursprung der Street Art als Kampf gegen den Kapitalismus, die Konsumgesellschaft sowie die Hinwegsetzung über die Privatisierung urbaner Räume.

Der portugiesischer Street Art Künstler Alexandre Farto (1987) ist unter dem Pseudonym Vhils bekannt und arbeitet mit 3-D Effekten.

Wynwood hat sich in den letzten Jahren allerdings gewandelt. Es ist zum etablierten Ziel der internationalen und wohlhabenden Kunstszene geworden. War es früher noch die Plattform aufstrebender Künstler, die experimentierfreudig ihre Kunst lebten, siedeln sich vermehrt renommierte Galerien, Boutiquen und Firmen an, die vom kreativ Ambiente dieses gewachsenen Kunstviertels profitieren wollen. Die Grundstückspreise steigen. Kleine Street Art Künstler müssen sich ein anderes, günstigeres Umfeld suchen. Eine Entwicklung, die viele andere Street Art-Viertel auf der ganzen Welt erleben. Nur wer sich dem Mainstream anpasst und auf seine Umsätze besinnt, kann sich mittlerweile in Wynwood behaupten. Paradoxerweise wird Street Art damit an vielen Plätzen dieser Welt von der Demonstrationsbewegung zum Wegbereiter der kommerziellen Urbanisierung ganzer Stadtviertel.

Trotzdem ist und bleibt die Atmosphäre in Wynwood für den Besucher einmalig. Tropisches Klima, farbenfrohe Werke - mal provokant, mal einfach interessant, neuartig oder schön. Das Schlendern durch diese Open-Air-Gallerie - ein Genuss für die Augen ganz anderer „Art“!


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