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  • AutorenbildEllen Kuhn und J. Materna

Die Street Art - Weltreise

Aktualisiert: 7. Okt. 2022

Ihre Leinwand ist die Straße. Manche sagen, sie sei gar keine Kunst. Sie sei eine optische und physische Zerstörung öffentlicher Räume, sie sei eine Rücksichtslosigkeit fremdem Eigentum gegenüber, sie sei bloße Schmiererei und sie ist vielerorts illegal.

Dabei gibt es zwischenzeitlich eine unfassbar große Bandbreite an sogenannter Street Art-Kunst wie zum Beispiel Etching, Style Writing, Scratching, Ganggraffiti, Stencil, um nur einige zu nennen. Die Kunstform ist auf dem Vormarsch, bewegt sich aber nach wie vor zwischen überschwänglicher Begeisterung und Gesetzlosigkeit. Allerdings scheint Street Art immer mehr salonfähig zu werden, sodass renommierte Unternehmer zwischenzeitlich namhaft gewordene Künstler für teures Geld beauftragen, ihre Büro- und Hauswände künstlerisch zu verzieren. Jüngst war „Banksy“, einer der bekanntesten und zugleich mysteriösesten Künstler dieser Szene, mit seinem Werk „Love is in the Bin“ sogar im Museum Frieder Burda in Baden-Baden und in der Staatsgalerie Stuttgart zu Gast und zog hunderttausende Besucher an. Viele dieser Museumsgänger zählen sonst nicht zu den klassischen Besuchern dieser Etablissements. Kaum eine Stadt hat heute nicht mindestens ein paar Arbeiten dieser Szene im Angebot, sei es wild und unkoordiniert oder gezielt geplant, um urbane Kleinode zu schaffen und heruntergekommene Viertel wieder aufzuwerten.

Street Art florierte gerade auch während der Pandemie, da Künstler in Monaten, in denen Galerien, Museen und Aufführungsräume geschlossen waren, unter freiem Himmel Trost und Inspiration fanden und auch Zuschauer – sofern die Stadt nicht im Total-Lockdown war – zumindest diese urbane Kunst besuchen konnten.

Vorweg für Street Art-Newcomer ganz kurz ein paar Grundbegriffen der Szene.

Das oft synonym für Street Art benutzte Wort Graffiti stammt ursprünglich vom italienischen Wort ‚Graffito' ab. 'Graffito' beschreibt eine in Stein geritzte Zeichnung. Schon in der Antike wurden Malereien und Schriftzüge an den Wänden von Tempeln und Häusern hinterlassen. Als erster Street Artist gilt der Franzose Gérard Zlotykamien, der 1963 mit seinen Arbeiten im „Öffentlichen Raum“ begann. Anfangs mit Kreide und Pinsel, erst später mit Sprühfarbe.

Ersteller von Graffiti, insbesondere wenn sie Sprühdosen verwenden, werden oft Sprayer (also Sprüher) genannt. Im Englischen wird für Wandmalereien gerne auch der Begriff Murals verwendet.


Kommen Sie mit auf einen Streifzug durch einige „öffentliche, urbane Kunsthallen“ in unterschiedlichsten Metropolen rund um die Welt:


Buenos Aires/Argentinien

Buenos Aires ist bekannt für seine lebendige Street-Art-Kultur. Die Mauern der argentinischen Stadt stecken voller politischer Aussagen, überall vermitteln diese urbanen Kunstwerke Botschaften von Protest, Trauer, Wut und parteiischer Loyalität und zeichnen die moderne politische Geschichte der Nation. Street Art wird hoch geschätzt und ist gesellschaftlich akzeptierter als in vielen anderen Städten. Die Stadtregierung von Buenos Aires hat selbst mehrere großformatige Arbeiten in Auftrag gegeben.

Im Norden der Stadt, etwas abseits der ausgetretenen Pfade, trifft man in den Vierteln Colegiales, Chacarita, Villa Crespo, Villa Urquiza und Palermo Hollywood auf farbenfrohe und skurrile Straßenkunst. Im Süden schmücken neben den bunten Häusern von La Boca und Barracas riesige Wandgemälde – oft politisch inspiriert, meist aber mit einer Prise Humor – private und öffentliche Gebäude.

Buenos Aires verfügte bis 2016 über das längste Wandgemälde der Welt, das von einem einzigen Künstler gemalt wurde, das 2.000 Quadratmeter große Meisterwerk des Künstlers Alfredo 'El Pelado' Segatori in den Straßen Lavadero und San Antonio, im Stadtteil Barracas, gleich neben La Boca.

Sao Paulo/Brasilien

São Paulo ist nicht nur das Finanzzentrum des südamerikanischen Kontinents, sondern auch eine der kreativsten und kulturell vielfältigsten Städte der Welt. Es ist unmöglich, Street Art in São Paulo zu übersehen. Von der Wand bis zum Elektrokasten wird alles zur Leinwand.

Street Art tauchte erstmals in den 1970er Jahren im armen Paulistano-Viertel Vila Madalena auf. Dort beginnend wurde Street Art zu einem Vehikel protestierender Studenten, um ihre Politik zu kommunizieren, in offener Missachtung der Regierung.

Die wohl bekannteste Strasse für Street Art ist zweifelsohne jedoch Beco do Batman. Diese schmale Gasse ist fast vollständig mit Straßenkunst ausgekleidet. Hier besitzt jeder Graffiti-Künstler die Rechte am Gemälde und an der Wand, an der er malt – das heißt, mit der Erlaubnis des Besitzers darf dort nur der Urheber der Originalzeichnung malen. Einfaches Übermalen durch andere Künstler ist - im Gegensatz zu anderen Orten - hier also nicht erlaubt.

Der brasilianische Künstler Eduardo Kobra, genannt Kobra, begann seine Karriere 1987 im Alter von 12 Jahren im heimatlichen Sao Paulo. Seitdem schuf er über 3.000 Wandgemälde auf fünf Kontinenten und zählt zu einem der bekanntesten Street Artisten der Welt.

Rio de Janeiro/Brasilien

Seit die brasilianische Regierung im Jahr 2009 Street Art entkriminalisiert hat, zog vor allem Rio de Janeiro eine Welle von Street Art-Künstlern an. Manche Graffitis erzählen Geschichten über historische Ereignisse oder heben soziale Probleme hervor. Andere sollen einfach ästhetisch oder cool sein.

Die Street Art im Stadtzentrum zeigt verschiedene Ereignisse und Motive aus dem Landleben und der Sklaverei. In Rio vertreten ist natürlich auch der bereits erwähnte Eduardo Kobra mit seinem im Rahmen der Olympischen Spiele 2016 entstandenen Werk „Etnias“. Es ist 3.000 Quadratmeter gross und ziert die Hafengegend Porto Maravilha. Aktuell ist es das größte, von einem einzigen Künstler geschaffene Graffiti und schaffte es damit auch ins Guiness Buch der Rekorde. Die Arbeit repräsentiert fünf indigene Stämme aus fünf Kontinenten.

Ein Künstler, den Rio neben anderen hervorgebracht hat, ist Marcelo Eco, der mit Ausstellungen unter anderem in Paris, Spanien und Argentinien international erfolgreich war. Sein Markenzeichen ist „Pointy Chin“, ein Gesicht, das auch als „Dali“ bekannt ist, weil es dem Aussehen des berühmten Künstlers Salvador Dali ähnelt. Dieses Dali-Graffiti ist in ganz Rio de Janeiro in verschiedenen Formen und Versionen zu finden und fällt besonders auf der Hauptstraße in Copacabana, der Avenida Nossa Senhora de Copacabana, auf.


Miami/USA

Neben dem weltberühmten Glanz und Glamour der City hat Miami nur wenige Minuten von Downtown Miami entfernt (in der Nähe von Midtown und dem Miami Design District) das farbenfrohe und künstlerische Viertel Wynwood zu bieten. In den 1970er Jahren war Wynwood eine Ansammlung alternder Lagerhäuser. Aber Anfang der 2000er Jahre erkannte der Unternehmer, Denkmalpfleger, Entwickler, Gastronom, Hotelier und Kunstmäzen Tony Goldman dessen Potenzial.

Er konzentrierte sich darauf, dieses verfallene Viertel in eine kulturelle Oase zu verwandeln. Die Wynwood Walls waren Goldmans Vision einer Open-Air-Kunstgalerie, die Realität wurde. Heute ist Wynwood fußgängerfreundlich und bietet Kunst an allen Ecken. Während die Wynwood Walls selbst sorgfältig erhalten wurden, sind die Gebäude rund um den Park mit urbaner Kunst bedeckt, die sich ständig ändert. Viele Künstler aus aller Welt sind hier immer mal wieder in ihrer Street Art präsent oder lassen sich auch einfach nur selbst inspirieren. So ist Wynwood nicht nur zu einem Besuchermagnet, sondern vor allem zu einem Ort des künstlerischen Austauschs und zu einem Zufluchtsort für aufstrebende Maler, Graffiti-Künstler, Kreative geworden.


New York/USA

Street Art ist eine Kunstform, die man mit New York verbindet, wie kaum eine andere Stadt. Viele halten New York für die Wiege der Street Art-Bewegung. Wer U-Bahnzüge voller Grafitti sehen will, ist aber etwas zu spät dran – die gibt es seit den 1990er Jahren so gut wie nicht mehr. Street Art, die unverlangt an Hauswänden, Passagen oder Ladengittern angebracht ist, ist ebenfalls Mangelware. Heute findet man in ganz vielen Stadtteilen quer durch die Metropole viele spannende Werke in ‘Street Art Galleries’ – Flächen, die von den Besitzern für Straßenkunst freigegeben wurden.

Die Bowery Wall ist eine der ältesten Street Art Galleries in New York. Einige der bekanntesten Künstler der Szene brachten Arbeiten an der Mauer an, darunter der legendäre Keith Haring (1958-1990). Die Bowery Wall befindet sich im East Village, einem Viertel im südlichen Manhattan, das lange für seine kaputt-kreative Atmosphäre bekannt war.

Das Museum of Street Art ist ein Tribut an die ‘5Pointz’, einer stillgelegten Fabrik in Queens mit 200 Künstlerstudios, auf deren Mauern man jahrelang spektakuläre Street Art sehen konnte.

Das ‘Mural Project‘ auf dem ehemaligen ‚Ground Zero‘ zeigt Arbeiten von sechs Street Artists, darunter Stickymonger und Boogie Rez. Was alle Werke gemeinsam haben, sind die spielerischen, heiteren Motive.

Dem Grafitti Aktivist Ray “Sting Ray” Rodriguez wurde es 1980 erlaubt, die Innenwände des Jackie Robinson-Spielplatz in East Harlem zu einer Ausstellungsfläche für Street Art umzufunktionieren.

2013 kam Joe Ficolara, einem Street Art Afficianado, der mit 12 Jahren im Stadtteil Bushwick den Mord an seinem Vater miterleben musste, eine Idee. Er wollte die vielen der oft immer noch trostlos anmutenden Blocks in Bushwick mit Straßenkunst lebendig werden lassen. So entstand in den folgenden Jahren unter dem Namen ‘Bushwick Collective‘ die größte Ansammlung von Street Art in New York.

Seit Oktober 2013 schafft es der kontroverse Street Art-Künstler Banksy immer wieder aufs Neue die New Yorker und Anhänger aus aller Welt zu elektrisieren. Täglich enthüllte er ein neues Bild oder Kunstwerk an einem zuvor nicht bekannt gegebenen Ort in der Stadt und versetzte damit die New Yorker Kunstszene, zahlreiche Fans sowie die Medien in Aufruhr. Der 2014 erschienene Dokumentarfilm „Banksy Does New York“ schildert den Hype und Mythos um Banksy.


Honolulu/USA

Damit rechnet man nun wirklich nicht. Aber der Mannheimer Künstler Yannik Czolk gestaltet 2020 beim legendären "Pow Wow"-Festival in Honolulu ein Wandbild mit dem Namen "Deeply rooted" (tief verwurzelt)."Ich wollte einen authentischen Bezug zur Umgebung, zum Alltag und der spirituellen Naturverbundenheit der Menschen schaffen“,sagt der Künstler selbst darüber.

Das hawaiianische Street Art Festival mit dem Namen POW!WOW! findet zwischenzeitlich weltweit an den unterschiedlichsten Orten von Long Beach über Guam bis Israel statt. Allerdings hat es seine buchstäblichen und spirituellen Wurzeln in Honolulu auf der Hawaii-Insel Oahu.

Das Festival findet dort seit Jahren im Viertel Kaka’ako statt, weil es zu den Anfangszeiten des Festivals ein vergessenes Areal war. Die Absicht der Festival-Organisatoren ist es, eine Gemeinschaft aufzubauen, indem sie Gebäudebesitzer, Einwohner von Honolulu und Künstler in eine gemeinsame Kunstaktion einbezieht. Die Street Art Künstler leisten dazu ihren ganz besonderen Beitrag.

Perth/Australien

Von Fremantle über Mount Hawthorn bis hin zum Victoria Park ist Perth in Western Australia voller großartiger Straßenkunst. Wenn man durch die Stadt Perth spaziert, wird man ganz automatisch über ein farbenfrohes Wandgemälde stolpern. Einige der Arbeiten sind ephemer, das heißt, sie können nur kurze Zeit überdauern, bevor sie übermalt oder durch etwas Neues ersetzt werden.

Die Stadt hat in den letzten Jahren internationale Aufmerksamkeit erlangt mit Werken einiger der besten Straßenkünstler der Welt, die die Gebäude, Strassen und Gassen schmücken.

Hier ein paar Tipps für die schönsten Wandmalereien in und um Perth (zumindest für gewisse Zeit…): Bassendean ( Hund am Holly Raye’s cafe), Como (Alfred Hitchcock am Art Deco Cygnet Cinema), Fremantle (East West Design building, Ocean Mural nahe South Beach Cafe, Zebras am Gebäude von Ootong & Lincoln und der riesige Octopus in der Queen Victoria Street), Highgate (hinter der Mary Street Bakery und in der Mary and Harold Street), Inglewood (Sugar & Nice-Gebäude in der Beaufort Street), Leederville (riesige Figuren am Luna Leedy-Gebäude in der Vincent Street), Maylands (Mädchen mit Träumen in ihrem Haar an der Ecke von Whatley Crescent und Ninth Avenue), um nur einige wenige zu nennen.

Und wessen Kondition ausreicht, sollte auch noch die Wandbilder in Midland, Mount Hawthorn, Mount Lawley, Angove Street/North Perth, Northbridge, Osborne Park, Perth CBD und Subiaco besuchen.

Alleine diese Liste zeigt eindeutig, dass sich Western Australia mit Perth und Freemantle still und heimlich zu einem der globalen Zentren der Street Art entwickelt hat.


Kapstadt/Südafrika

Die heruntergekommene Vorstadt namens Woodstock in der südafrikanischen Metropole Kapstadt war die längste Zeit nur für Drogenhandel und Straßenkriminalität berühmt und berüchtigt. Heute ist Woodstocks größter Anziehungspunkt die Straßenkunst. Zwischen Albert Road und Victoria Road leuchten Wandmalereien von Häusern, Ruinen und Parkplatzmauern. Ein schwimmender Elefant vor der Kulisse des Tafelbergs, schwarze Kinder mit wütend gereckten Fäusten, Häuser umrankende Pflanzen und ein Löwe, der einen Mann anspringt - zusammen eine große, sozial engagierte Bildergeschichte. Hier abstrakte Schwarz-Weiß-Muster, dort dreidimensionale Giraffen und Gorillas oder auch ironische, an Banksy erinnernde Vignetten. Gemeinsam ist fast allen Künstlern das Engagement für Umweltschutz, Menschenrechte, Widerstand gegen Rassismus und Ausgrenzung. Das gilt auch für die von Freddy Sam stammenden fotorealistischen Szenen protestierender wie auch feiernder Südafrikaner. Das Versprechen der "Rainbow Nation" hat in Woodstock noch Gültigkeit.

In den letzten Jahren kamen Straßenkünstler aus ganz Afrika und Europa hierher, um mit den Südafrikanern zu arbeiten und ihre Spuren zu hinterlassen. Heute ist die Szene bunter denn je - auch Frauen wie Nardstar und die deutsche Graffiti-Künstlerin MadC haben sich einen Namen gemacht. Die Regeln durch Kapstadts Behörden sind inzwischen jedoch streng. Wer ohne Erlaubnis sprüht, muss mit einer Strafe von bis zu 15 000 Rand rechnen, das sind gut 900 Euro. Andererseits - und zum Glück - ist Woodstock nach wie vor kein abgeschlossenes Museum, sondern ein öffentlicher Raum der Kunst.



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